Drei Thesen zu „Critical Whiteness“, gewidmet insbesondere accalmie, die mir sehr höflich begegnet ist.
1. „Critical Whiteness“ erfüllt Bedürfnisse. Ist zeitgemäßer Okkultismus mit angeschlossener Wohlfühlabteilung. Einmal im Leben, zumal im falschen, auf der richtigen Seite stehen, in Selbstgeißelung zerfließen, sich einfühlen in das Objekt der Begierde, eins werden mit den Unterdrückten dieser Welt im antinomischen Rauschen der betonten, eigenen, tatsächlichen oder eingebildeten „Privilegien“. Ein kleines Stück Torte der Selbstvergewisserung in einer Bäckerei, die feindselig ist und sonst nur Ungewissheiten bereit hält. Einmal wenigstens das Gefühl haben, etwas richtig machen zu können, die Vorzüge eines geschlossenen Weltbildes erahnen, in den betroffenen Blicken des „Reflexionskreises“ dahin schmelzen und dabei das Gefühl genießen, die Unlust bereitende Tätigkeit des Denkens einzutauschen, gegen das lebenslange Versprechen, jederzeit über seine „privilegierte“ Stellung Auskunft zu geben und dies ganz schlimm zu finden, analog zum Argument der Erzieherin im Kinderhort, mit dem sie den Plagen den Spinat schmackhaft macht. Aber auch ganz materielle Bedürfnisse kann dieses „Forschungsfeld[es]“ (Fatima El-Tayeb) befriedigen. Die unzähligen „Trainings“, „Seminare“ und „Workshops“ wollen organisiert und geleitet werden, ganz idealistisch natürlich, nur gegen einen geringen Obulus namens Aufwandsentschädigung. Zur Befriedigung des Gewissens auch noch das der materiellen Bedürfnisse? Aber immer gern. Oder ist ein Doktortitel, ein Hausarbeitsthema oder eine Abschlussarbeit gefällig? Wie wäre es mit „Shaft vrs. Minority Report – Blackness and Whiteness in Hollywood Film“ (grin.com), einer Frage über die man dann gleich noch einen Vortrag beim nächsten Antira-Arbeitskreis halten könnte. Oder einen Beitrag für den nächsten Sammelband des universitären Zitierkartells? (1) Das ist doch eine win-win Situation + Empowerment, also triple-win. So kann man aus seinem paternalistischen Eintreten für die Armen dieser Welt auch noch eine erkleckliche Industrie machen.
2. „Critical Whiteness“ ist postmodern. Also Geschwätz. D.h. man kann ewig darüber reden und wird doch nie zu einem Ergebnis kommen. Das ist wiederum gut, denn siehe Punkt 1: Dann kann man auch endlos davon profitieren. Also will man auch gar nicht zu einem Ergebnis, gar einem Urteil kommen. Man gefällt sich schließlich als kritischer Diskursschuft. Im endlosen Universum von Knotenpunkten, Diskursen, Verflechtungen, Macht und Diskriminierung gibt es viel zu entdecken, so dass die nächsten Forschungsgelder schon beantragt sind. Die nächste Fakultät der „Gender-Queer-Whiteness Studies“ mit Fokus auf „Able-“ und „Ageism“ ist sicherlich in Gründung, da fragt die nächste bereits nach dem „Zusammenwirken verschiedener Herrschaftsmechanismen in der industriellen Tierhaltung“ (2). Dabei merkt man natürlich nicht, dass man selbst noch Foucault Unrecht tut, der ja immerhin wusste, dass er nichts aussagt und aussagen kann. Der wunderbare Begriff der „Diskriminierung“ passt hier wie Arsch auf Eimer. Er ist uferlos. Macht die Thematisierung von Diskriminierung bei Flüchtlingen etc. ja durchaus Sinn, zumindest aus humanitärer Sicht, wird es bei Alters- oder Tierdiskriminierung albern. Und wenn doch nicht, ist es nicht an der Zeit neue Diskriminierungsstrategien der Herrschaft aufzudecken? Die Diskriminierung im Supermarkt durch die schlecht gelaunte Kassiererin, der doofe Türsteher oder meine Freunde, die ihren Insiderwitz nicht mit mir teilen wollen (also gewaltförmige Macht- und Wissenshierarchien mir gegenüber)? Diskriminiert die Gesellschaft uns nicht alle? Und überhaupt: Wie verhält es sich mit transspezieistischer Diskriminierung; wenn meine Katze mich schon wieder ignoriert? Man ahnt, der Begriff der Diskriminierung ist zur Analyse von Gesellschaft völlig ungeeignet, man ahnt aber auch, es werden noch viele Bücher geschrieben und noch mehr Workshops und Empowerment-Seminare das Licht der Welt erblicken.
Denn genau so läuft es im (universitären) postmodernen „theoretisieren“, weder will man etwas wissen oder kritisch durchdringen, noch ein, gar politisches, Urteil fällen. Begriffslos arbeitet man sich an der Erscheinung ab ohne überhaupt dessen Konstitutionsbedingungen auch nur zu erwähnen und gefällt sich so im Verdoppeln des ohnehin schon schlechten Bestehenden. Genau das entspricht aber auch dem Anspruch einer neuen Laberwissenschaft: „Es ist an der Zeit, gegen die Weiße Normativität und ihre Tabuisierung in Rassismus. und Geschlechterforschung Widerspruch einzulegen.“ (3) formuliert Eske Wollrad ihr revolutionäres Programm der fundamentalen Kritik. Putzigerweise ist sie es auch, die den Autonomen ihr liebstes Mädchen weg nehmen will, Pippi Langstrumpf. (4) Das es gar nicht der Anspruch der „Critical Whiteness“ ist in irgendeiner Weise „Critical“ zu sein, darauf sei hier also explizit hingewiesen, weil dies ihnen unberechtigterweise gerade von Kritikern häufig unterstellt wird.
3. „Critical Whiteness“ ist unkritisch. Und zwar so gut es geht, fällt man hier doch noch hinter den schlimmsten antirassistischen Quatsch zurück, der immerhin nicht rein nominalistisch war, jedoch geradezu als Bewegung auf Rechnung und im höheren Interesse des Staates zu handeln schien. (5) Sucht man die rassistische Unmensch-Setzung an sich selbst zu fassen, ganz so als würde sich das Kapital abends bei einem Wein hinsetzen und zu konstruieren beginnen, ist „Critical Whiteness“ nur der folgerichtige „Dekonstruktionsversuch“, der doch nur die gedankliche Bewegung der völlig deformierten realen Subjekte nach zu zeichnen versucht und zu seiner „eigentlichen“ Bestimmung setzen möchte, ein Scheitern im ontologischen Rauschen. Die soziale Genesis, auf die die Begriffe verweisen wird ignoriert, davon kann man nichts wissen und möchte man auch gar, würde dies doch die eigenen Vorraussetzung des begriffslosen Herumdoktorens untergraben. Vielmehr wird so getan, als wären es die gesellschaftlichen Symptome, die sich selbst konstituieren: „Der ‚wissenschaftliche Sozialismus‘ lässt grüßen: bewaffnet mit der ‚richtigen Theorie‘ will man den Klassenfeind auf seinem eigenen Felde schlagen, indem man die Objektivität der Sache selbst besser darzustellen vermag. So wenig aber der Kommunismus darin bestehen kann, das Wertgesetz ‚richtig‘ anzuwenden, so wenig kann die Kritik des wissenschaftliche Denken für sich instrumentalisieren, ohne sich selbst, d.h. die Kritik aufzugeben.“ (6) „Critical Whiteness“ will gar nicht mehr, wie der gewöhnliche Antirassismus, die Menschen an ihr postuliertes Gleichheitsversprechen erinnern und dieses zur Geltung bringen (wobei genau jene Gleichheit, die der repressiven Vergleichung aller durch das Kapital, der Ursprung des Ausschlusses des Unmenschen ist – dies ist das Elend des Antirassismus). Was „Critical Whiteness“ so schwer zu kritisieren macht, ist seine grenzenlose Idiotie, selbst nicht einfach nur Ideologie zu sein, sondern ideologische Gegenideologie. Ideologische Zuschreibungen heraus zu kitzeln, darin zu baden und dabei zu meinen sie zu zerstören, während doch nicht viel mehr rauskommt als ein Menschenzoo, für den täglich neue Käfige zu bauen sind um noch die letzte „queere Muslima“ in einem Biotop des positiv gewendeten Kulturrassismus einsperren zu können, das ist die Essenz von „Critical Whiteness“.
Dabei wäre es doch einfach mal zu beachten, das die Konstitutionsbedingungen dieses Denkens selbst schon in Gefangenschaft stattfindet, der verschweissten Subjektivität des Staatsbürgersubjektes nämlich. Was man darf und was nicht, entscheidet nämlich gerade nicht der Rassismus, wie uns Eske Wollrad weiß-machen will, sondern die „repressive Egalität“ der totalitären Wertvergesellschaftung. (7) Und die basiert eben auf der negativen Gleichheit. Die Individuen, sind aber empirisch schon nicht gleich als Individuen, noch als Subjekte. Sie stehen als zwanghaft Gleiche in der Vertragsform ihrer subjektiven Ungleichheit und der Ungleichheit der Verhältnisse gegenüber. Das ist die Dauerkrise des völlig zerrissenen Subjekts. Aus der Krisenerfahrung dieser Konstellation heraus, der allmächtig über dem Subjekt, das sich verwerten muss, kreisenden Drohung der Entwertung, ergibt sich dann auch die Erklärung für den Lustgewinn an dem Ausschluß Anderer aus der Menschheit: „Rasse heute ist die Selbstbehauptung des bürgerlichen Individuum, integriert im barbarischen Kollektiv.“ (8) Die ontologische Differenz zwischen „dem Menschen“ und dem Begriff des Menschen ist es dabei, der den strukturellen Rassismus der bürgerlichen Gesellschaft ausmacht. (9) Wesentlicher als die rassistische Flucht in die Natur des Unmenschen jedoch, ist die Flucht des Subjekts in die Gegenoffensive der Vernichtung des Übermenschen, der Antisemitismus. Nicht mehr nur trachtet hierbei der Wahn nach Ausschluß, die die eigene Entwertung verhindern soll, sondern trachtet der Antisemitismus zu Liquidation, bei gleichzeitiger Aneignung der endlosen, krisenfreien gelungenen Akkumulation. Die Denkbewegung bleibt dabei so gleich wie die der „Critical Whiteness“: Ontologisierung des Falschen, bei gleichzeitig zwanghaftem Mitmachen und zur Tat schreiten. „Halbbildung, die im Gegensatz zur bloßen Unbildung das beschränkte Wissen als Wahrheit hypostasiert, kann den ins Unerträgliche gesteigerten Bruch von innen und außen, von individuellem Schicksal und gesellschaftlichem Gesetz, von Erscheinung und Wesen nicht aushalten.“ (10)
(1) Ich verweise hier auf meine beiden Lieblingstitel des Sammelbandes „Mythen, Masken und Subjekt“: „Die jüdische Nase: Sind Juden/Jüdinnen weiß? Oder: die Geschichte der Nasenchirugie“ (Sander L. Gilman) und „Als weiße Studierende in einer weißen Universität: erste Positionierung“ (Juliane Strohschein).
(2) Kein Witz, gab es echt: http://zusammenzumziel.blogsport.de/images/ZzZProgrammbersichtStand08.10..pdf
(3) Wollrad, Eske. Weißsein im Widerspruch, S. 13.
(4) http://www.bild.de/regional/leipzig/rassismus/leipziger-verein-geht-auf-pippi-langstrumpf-los-merkwuerdige-debatte-um-angeblichen-rassismus-in-kinderbuch-klassikern-20856460.bild.html#!
(5) Bruhn, Joachim. http://isf-freiburg.org/verlag/leseproben/bruhn-deutsch_lp.html
(6) ISF. Goldhagen und die Krise des wissenschaftlichen Denkens, in: Das Konzept Materialismus.
(7) Wollrad, Eske. Weißsein im Widerspruch, S. 52.
(8) Adorno/Horkheimer. Dialektik der Aufklärung, S. 178.
(9) vgl. Bruhn, Joachim. http://isf-freiburg.org/verlag/leseproben/bruhn-deutsch_lp.html
(10) Adorno/Horkheimer. Dialektik der Aufklärung, S. 205.
Bilder aus Maya Deren, „Meshes of the Afternoon“
Titel aus „Laßt mich doch in Ruhe“ von 4 Promille
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Schlagwörter: Antisemitismus, Critical Whiteness, Diskriminierung, Feministinnen, Gender, Geschlecht, Ideologie